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“Verarbeitung & Speicherung von Bonitätsdaten – Das A & O: Interessensabwägung”

Zur Frage, wann die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art 6 Abs 1 lit f DSGVO (zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten) rechtmäßig ist und wie lange Zahlungs- bzw. Bonitätsdaten gespeichert werden dürfen, hat der Oberste Gerichtshof (in der Folge kurz „OGH“) erst kürzlich in seiner Entscheidung 6 Ob 87/21v vom 23.06.2021 Stellung genommen.

Zusammengefasst besagt die genannte Entscheidung:

  • für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung ist eine einzelfallbezogene objektive Interessensabwägung vorzunehmen
  • Zahlungs-bzw. Bonitätsdaten dürfen in Hinblick auf ein möglichst aussagekräftiges Bild über die Bonität einer betroffenen Person für die Dauer von mindestens 5 Jahren gespeichert
  1. Der Sachverhalt:

Im konkreten Fall hatte sich der OGH mit dem Löschungsbegehren einer Klägerin auseinanderzusetzen, die diverse Forderungen trotz außergerichtlicher Betreibungsversuche – unter anderem auch durch Inkassoinstitute – nicht bezahlt hatte. Erst nach Bewilligung zweier Exekutionsanträge leistete die Klägerin die entsprechenden Zahlungen. Begründet hat diese ihr Begehren damit, dass die Speicherung der sie betreffenden Daten nicht mehr erforderlich sei, da sie die Forderungen mittlerweile beglichen habe. Außerdem handle es sich um Bagatellbeträge und habe sich auch ihre finanzielle Situation erheblich verbessert. Ihr Löschungsinteresse sei daher höher als das Interesse potentieller künftiger Vertragspartner.

Bei der Beklagten handelt es sich auf der anderen Seite um eine Wirtschaftsauskunftei über Kreditverhältnisse im Sinne des § 152 GewO 1994, die Zahlungserfahrungsdaten speichert und verarbeitet. Diese Daten erhält sie nach drei vergeblichen Mahnungen und mindestens einer weiteren erfolglosen Inkassomahnung automationsunterstützt von Inkassoinstituten und anderen Unternehmen und speichert diese lediglich dann, wenn die dahinterstehenden Forderungen nicht bestritten werden. Werden in weiterer Folge Zahlungen geleistet, bleiben die Daten gespeichert. Dies aber mit dem ausdrücklichen Vermerk „positiv erledigt“.

Die Beklagte speicherte und verarbeitete im konkreten Fall fünf negative Zahlungserfahrungsdaten betreffend die Klägerin, was eine Einschränkung der Teilnahme der Klägerin am Wirtschaftsleben zur Folge hatte. Diese Einschränkung bestand im Wesentlichen darin, dass die Klägerin in vielen Bereichen (beispielsweise im Internet) keine Bestellungen auf Rechnung mehr tätigen konnte und ihr Finanzierungsansuchen sowie Mobilfunkverträge nicht (mehr) gewährt wurden. Bestellungen, die im Vorfeld bezahlt werden, konnte die Klägerin hingegen weiterhin tätigen. Auch konnte sie „prepaid“ Mobiltelefone nutzen oder gemeinsam mit ihrem Ehegatten Bankkredite in Anspruch nehmen. Die Beklagte wandte somit ein, dass die Datenspeicherung- und verarbeitung auf Grundlage des Art 6 Abs 1 lit f DSGVO (zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten) weiterhin rechtmäßig sei, zumal es für potentielle Vertragspartner der Klägerin, die durch eine allfällige Vorleistung ein Kreditrisiko eingehen, essentiell sei, ihre Zahlungsmoral einschätzen zu können. Durch Löschung der die Klägerin betreffenden Daten entstünde aber ein verzerrtes und unrichtiges Bild über ihre Bonität.

Das Löschungsbegehren der Klägerin wurde in allen drei Instanzen abgewiesen. Der OGH führt dazu unter anderem folgendes aus:

  1. Zur Rechtmäßigkeit der Verarbeitung (Art 6 Abs 1 lit f DSGVO):

Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung von Daten zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen des Verantwortlichen bzw. Dritter, erfordert nach Ansicht des OGH stets eine einzelfallbezogene und objektive Interessensabwägung. Ein Indiz für das Überwiegen der Interessen, Grundrechte oder Grundfreiheiten der betroffenen Person kann dabei sein, dass die Verarbeitung in einem Kontext erfolgt, in dem eine betroffene Person vernünftigerweise nicht mit der Verarbeitung rechnen muss. In diesem Zusammenhang verweist der OGH auf den Erwägungsgrund 47 zur DSGVO, demzufolge auch die vernünftigen Erwartungen einer betroffenen Person, die auf ihrer (Geschäfts-)Beziehung zum Verantwortlichen beruhen, in die Interessensabwägung einzubeziehen sind. Es sind also die Einschnitte in die alltägliche Lebensführung der betroffenen Person den Interessen des Verantwortlichen und Dritter gegenüberzustellen.

Im konkreten Fall führte dies zu dem Ergebnis, dass die Klägerin einerseits sehr wohl mit der Verarbeitung ihrer Daten zu Zwecken der Bonitätsbeurteilung rechnen musste, zumal sie im Vorfeld Mahnungen mit einem ausdrücklichen Hinweis darauf erhielt, dass ihre relevanten Daten im Zusammenhang mit unbestrittenen und unbezahlten fälligen Forderungen an die beklagte Auskunftei übermittelt werden würden. Andererseits überwogen auch die übrigen Interessen der Wirtschaftsauskunftei sowie potentieller künftiger Gläubiger (Vermeidung von Zahlungsausfällen, Hintanhaltung des Risikos bloßer Zahlungsverzögerung, Ermöglichung eines Schlusses auf Zahlungsunfähigkeit- oder unwilligkeit) jene der betroffenen Person, die im konkreten Fall lediglich zumutbare Einschnitte in ihrer alltäglichen Lebensführung (siehe Sachverhalt) erdulden musste.

  1. Zum Grundsatz der Speicherbegrenzung (Art 5 Abs 1 lit c und e DSGVO):

Der OGH legte dem zu entscheidenden Löschungsbegehren darüber hinaus unter anderem die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (kurz „BVerwG“) zu Grunde, wonach neben dem „Alter“ einer Forderung auch der Zeitpunkt allfälliger Tilgungen sowie das seitherige „Wohlverhalten“ des Schuldners entscheidend sind und auch gesetzliche Beobachtungs- und Löschungsfristen als Richtschnur herangezogen werden sollen. Im konkreten Fall konnte beispielsweise die sogenannte „Kapitaladäquanzverordnung“ herangezogen werden, derzufolge Daten über etwaige Zahlungsausfälle über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren relevant sind.

Aber auch ohne auf diese BVerwG-Rechtsprechung Bezug zu nehmen, stellt der OGH ausdrücklich klar, dass auch für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Speicherdauer immer eine Interessensabwägung vorzunehmen ist. In diesem Rahmen sind die Auswirkungen der Speicherdauer auf die Sphäre der betroffenen Person dem gegenüberzustellen, wie essentiell die Daten für den Verantwortlichen sind.

Im konkreten Fall war die Beklagte als Wirtschaftsauskunftei gerade auf die Verarbeitung von Zahlungserfahrungsdaten angewiesen, wobei ihre Tätigkeit nicht nur eigenen wirtschaftlichen Interessen dient, sondern auch Gläubigerschutzinteressen und Interessen in Bezug auf die Risikominimierung Dritter. Auch hat der OGH ausdrücklich klargestellt, dass die Möglichkeit, aufgrund von Zeitablauf andere Schlüsse aus den verarbeiteten Daten zu ziehen, keinen Einfluss auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Speicherdauer hat. Die Speicherung solcher Daten für einen längeren Zeitraum (hier zumindest für ca. 3 Jahre) ist im Ergebnis also nicht nur zulässig, sondern auch erforderlich, um ein aussagekräftiges und unverzerrtes Bild über die Bonität eines (potentiellen) Schuldners vermitteln zu können.

Ob nun tatsächlich eine schriftliche Mitteilung erforderlich ist, um einer betroffenen Person entgegenhalten zu können, dass sie mit der Verarbeitung rechnen musste, hat der OGH nicht abschließend beurteilt, sondern lediglich auf die vorliegenden Sachverhaltsfeststellungen Bezug genommen. In der Praxis wird eine solche „sicherheitshalber“ aber wohl ratsam sein.

Insgesamt überzeugt die genannte Entscheidung des OGH aus Sicht der Verfasserin, hat dieser doch auch noch zutreffend darauf hingewiesen, dass die langjährige Speicherung und Verarbeitung von „Bonitätsdaten“ nicht nur aus der Sicht der Branche, sondern auch aus Sicht der Unternehmen als Gläubiger und eines „braven“ Schuldners von Vorteil ist.

Hier geht es zur OGH Entscheidung.

Für Fragen wenden Sie sich an: Árpád Geréd und Alexandra Prodan.

22.10.2021

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